Zeitdruck erhöht Pfusch am Bau

Neue Westfälische vom 11.10.2006

Bielefeld. Mit dieser bösen Überraschung hatte der Inhaber einer psychiatrischen Praxis nicht gerechnet, als er seine funkelnagelneuen Räume bezog. Die Patientengespräche waren auch im Wartezimmer nebenan noch klar und deutlich zu hören. „Es waren teure Schallschutztüren eingebaut worden, jedoch wurden die Schallschutzmaßnahmen an den Wänden vernachlässigt“, stellte später der Bielefelder Gutachter Friedhelm Spruch fest.

Einen kleinen, aber nicht unwichtigen Mangel stellte Spruch an einem anderen Neubau fest. Dort waren die Rollläden mit Stoppern versehen worden, die den Einzug der Rollläden in die Kästen verhindern. Doch da die Rollläden hier elektrisch und nicht manuell betrieben wurden, hätten die Stoppen wegen Brandgefahr nicht eingebaut werden dürfen.

„Es wird viel mehr gestritten“, sagt Spruch, Geschäftsführer der Sachverständigengesellschaft des Bauhandwerks Bielefeld. Er und seine 13 Kollegen haben fast täglich mit solchen Konflikten um Fehler bei der Bauausführung zu tun. Jüngst beauftragten ihn die Besitzer eines alten bäuerlichen Wohnhauses. Sie hatten den historischen Torbogen des Hauses erhalten wollen und den Nachbau der vier mal vier Meter großen Konstruktion bei einem Tischler in Auftrag gegeben. Doch die riesige Glastür schloss schon bald nicht mehr richtig. Des Rätsels Lösung: „Die dort verwendeten Hölzer waren zwei Zentimeter zu dünn“, so Spruch. Doch das Glas bei einer solchen Fensterfront dürfe sich nicht mehr als acht Millimeter durchbiegen, sonst „kann es schon mal sein, dass eine Glasscheibe zerspringt“. 20 Prozent mehr Gutachten als noch vor sechs Jahren erstellt der Sachverständige mittlerweile über Mängel am Bau.

Von einem Anstieg der Schadensfälle um sogar 30 Prozent im gleichen Zeitraum spricht Klaus Kunkel, Vorstandsmitglied der Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik. Eine der Ursachen sei, dass der Staat sich teilweise aus der Bauaufsicht zurückgezogen habe. „Wir plädieren dafür, dass alle Gebäude überprüft und überwacht werden“, so Kunkel. Dies sei gerade beim privaten Hausbau auch eine Sache des Verbraucherschutzes. Kunkei: „Die Privatisierung muss auf ein vernünftiges maß zurückgeschraubt werden.“

Mangelnde Bauaufsicht im privaten Wohnungsbau ist nach Ansicht von Alexander Kostka, Jurist bei der Handwerkskammer OWL zu Bielefeld, oft „auf die dünne Finanzdecke“ der Bauherren zurückzuführen. Zumeist fehle ein Architekt, der früher diese Kontrollfunktion übernommen habe. Die Zahl der Baustreitigkeiten am Landgericht Bielefeld ist im Laufe der letzten Jahre eher rückläufig (2003: 775, 2004: 748, 2005: 580). Dessen Sprecher Heinz Misera verweist aber darauf, dass viele Streitfälle auch als Handelssachen verhandelt werden und somit nicht in diese Statistik eingehen. Kostensparende Alternative zum Prozess ist eine Einigung bei der Bauschlichtungsstelle der Handwerkskammer, die seit 1996 insgesamt 60 Fälle erfolgreich abgeschlossen hat, so Kostka.

Die Schlamperei am Bau nimmt zu, warnen deutsche Prüfingenieure. Grund aus Sicht der Experten: hoher Kostendruck, unqualifizierte Arbeitskräfte und mangelnde Kontrollen.